(Zitat eines Professors am Universitätsspital Zürich)
Antibiotikaresistenz wird nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in den aktuellen Nachrichten diskutiert. Bakterien wehren sich gegen den Angriff mit Antibiotika, sprich: Medikamenten, die dazu bestimmt sind Bakterien zu töten und so bakterielle Infektionen zu besiegen, beim Menschen und in der Viehzucht. Doch wir siegen nicht, denn wir geben viel zu viel Antibiotika, auch dort, wo sie gar nicht nötig wären. Wir setzen die Bakterien damit unter Druck, dieser Flut von Antibiotika etwas entgegenzusetzen, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Das wird Resistenzdruck genannt: die Bakterien entwickeln sich durch diesen Druck weiter, sie verändern ihr Erbgut so, dass sie resistent, also unangreifbar durch Antibiotika werden. Nicht Antibiotika zerstören Bakterien, sondern die Bakterien zerstören dann die Antibiotika.
Einige Bakterien, wie etwa Darmbakterien, entwickeln besonders raffinierte Strategien. Sie werden multiresistent, also immun gegen multiple, sprich: viele verschiedene Antibiotika, die auf dem Markt sind. Wie schaffen diese Darmbakterien das? Und bei welchen Menschen treten diese Resistenzen auf, wer ist betroffen? Werden alle Betroffenen krank? Sind die Bakterien auch in unserer Umwelt?
ESBL-Keime gehören zu diesen „superschlauen“, multiresistenten Darmbakterien. ESBL steht für Extended Spectrum-Beta-Lactamse und bezeichnet ein Eiweiss, dass die Bakterien entwickelt haben und fleissig produzieren, denn es zerstört die meisten wichtigen Antibiotika. Ursprünglich waren ESBL Bakterien harmlose Umweltkeime. Heute haben sie ihr Erbgut verändert, da man ihnen durch Einsatz von Antibiotika „Druck gemacht“ hat. Sie entwickelten Punktmutationen, punktuelle Veränderungen auf ihrem Erbgut. Kleine Stücke dieses veränderten Erbgutes, die Resistenzplasmide werden von Bakterium zu Bakterium weitergereicht. Dabei findet der Austausch auch zwischen verschiedenen Bakteriengattungen statt! Das ist in etwa so, als könnten wir unsere Fähigkeit zum aufrechten Gang auch an anderen humanoiden Spezies weitergeben… es klingt wie Science Fiction, doch Bakterien können dies.
Harmlose Umweltkeime sind zu multiresistenten Darmbakterien mutiert. Besonders drastisch ist die Lage in Indien: durch unverantwortliche Produktion von Antibiotika, die in Gewässer austreten, entwickelten sich dort besonders viele harmlose Umweltkeime zu ESBL-Bakterien. Man schätzt, dass 70% aller Reisenden, die aus Indien zurückkehren, diesen Keim als Träger in ihrer Darmflora nach Deutschland einführen. Dann gelangen die wehrhaften, „superschlauen“ Bakterien durch die Exkremente auch in unsere heimischen Gewässer und Böden.
Viele gesunde Menschen sind nur Träger der ESBL-Bakterien, sie kommen dann vorübergehend im menschlichen Mikrobiom vor, führen aber nicht zu Darminfektionen. Sie gelangen jedoch in unser Ökosystem und damit in einen unwiderruflichen Kreislauf. Viel häufiger finden sie sich bei alten und schwachen Menschen wieder, die in Pflegeheimen leben, oder sich im Krankenhaus aufhalten müssen. Auch Krebskranke haben häufig chronisch ESBL-Keime in ihrer Darmflora, ebenso wie Patienten auf der Intensivstation. Es gibt zurzeit kein Mittel, welches ein Trägertum beenden könnte. Ist das Immunsystem geschwächt, können aus solch einem Trägertum tödlich verlaufende Infektionskrankheiten entstehen.
Wird ein ESBL-Keim im Stuhl eines erkrankten Menschen nachgewiesen, so wird der Betroffene im Krankenhaus isoliert: er oder sie wird in ein Einzelzimmer verlegt, dass nur nach speziellen Hygienemaßnahmen betreten werden darf. Mitpatienten werden vorsorglich auch auf ESBL-Keime untersucht. Die Behandlung ist schwierig. Neue, effiziente Antibiotika gegen ESBL konnten bislang nicht entwickelt werden. Nun haben Pharmakonzerne angekündigt, die Entwicklung neuer Antibiotika einzustellen. Manchmal helfen sogar die selten eingesetzte Reserveantibiotika wie Tigecyclin nicht mehr. Reserveantibiotika sind speziell zurückgehaltene Antibiotika, die nur im Falle von solchen schwersten Infektionen mit multiresistenten Keimen eingesetzt werden. Sie haben zudem viel stärkere Nebenwirkungen als die meisten anderen Antibiotika.
Wer ist also betroffen? In diesem Sinne wir alle, denn die Keime sind schon in unserem Ökokreislauf. Was können wir tun? Je weniger Antibiotika wir einsetzen, um so mehr verringern wir den Resistenzdruck auf die Bakterien, und damit die Entwicklung weiterer Antibiotikaresistenzen. Je weniger Antibiotika wir einnehmen, oder wir Ärzte verordnen, um so eher können Reserveantibiotika für wirklich schlimme Infektionen, für Patienten auf der Intensivstation und für lebenswichtige Operationen bewahrt werden.
Ein Professor am USZ (Universitätsspital Zürich) sagte Anfang des Jahres 2019 in einer mehrteiligen Vorlesung zum Thema Antibiotikatherapie wortwörtlich: „Jede Tablette eines Antibiotikums die Sie austeilen, verändert unser Ökosystem, ist eine Umweltverschmutzung! Zudem werden etwa 50% aller Antibiotika falsch verordnet…“
Die Bakterien erfinden sich immer schneller neu – wann erfinden wir unsere Medizin neu?